Geschichte

Sie erinnern sich…?

Der alte Bahnhof – Haltepunkt der S6 und somit das Entrée zu unserem schönen Stadtteil – war über 20 Jahre ein Schandfleck. Er stand leer und verkam zusehends.

Erst die Initiative ehrenamtlich tätiger Bürger mit Unterstützung von Sponsoren, der Krupp Stiftung, der Stadt Essen, des Landes NRW, des Arbeitsamtes und der Politik ermöglichte das Haus am 4. April 2003 zu eröffnen.

Der Bahnhof Kettwig – ein geschichtlicher Überblick

Das Bahnhofsgebäude in Kettwig, bei dem es sich um die Spätform des Rundbogen-Klassizismus handelt, wurde 1873 eingeweiht. Der Bau des Bahnhofs und seine Trasse waren nicht ohne Komplikationen durchzuführen, denn ein Teil des heute an die Ruhrtalstraße angrenzenden Berges musste erst gesprengt und abgetragen werden. Das ganze Gelände wurde zuvor, nämlich 1869, der “Herrschaft Oefte” abgekauft.
Im Herzstück des Bahnhofs, dem Empfangsteil mit seinen zwei großen Portalen, fand man den Fahrkartenverkauf und die Expressgutannahme. In den beiden anderen Gebäudeabschnitten konnten die Fahrgäste in den Wartesälen, die von einem Pächter bewirtschaftet wurden, verweilen. Im mittleren Teil befand sich der Wartesaal zweiter Klasse, in dem Verzehrzwang bestand. In dem dahinterliegenden östlichen Gebäudeabschnitt befand sich der Wartesaal für die dritte Klasse. Hier konnten Reisende einkehren, um sich aufzuwärmen. Die Gaststätte bestand bis 1968.

Der Bahnsteig war auf der gesamten Länge des Bahnhofgebäudes überdacht. 1945 wurde das Dach durch Fliegerangriffe stark beschädigt; es wurde notdürftig instandgesetzt und erheblich gekürzt. Dieser Zustand blieb bis zur S-Bahnzeit.

Der zweite Bahnsteig mit einer Unterführung wurde zwischen 1905 und 1910 errichtet. Auch hier wurde die Überdachung 1945 so stark beschädigt, dass sie im April 1953 mit Stahlträgern erneuert werden musste. Am 25. September 1989 zertrümmert ein entgleister Schotterzug den Überbau der Unterführung auf Bahnsteig 2; er wurde Anfang 1991 mit einer Glaseinhausung erneuert und die Bahnsteigüberdachung in diesem Zusammenhang gekürzt.

Bis 1945 herrschte ein reger Betrieb auf dem Bahnhof. Personen- und Güterzüge aus Düsseldorf, Essen, Kupferdreh, Wuppertal und Mülheim fuhren nach Kettwig und wurden hier zum Teil neu zusammengestellt.

Es gab zwei Bahnsteige mit je zwei Gleisen: Bahnsteig 1 mit dem Kopf- und Lok-Wende-Gleis 1 für Züge nach Mülheim- Saarn/-Broich/-Styrum und das Gleis 2 (heute 1) für Züge nach Düsseldorf, Bahnsteig 2 mit den Gleisen 3 (heute 2) Richtung Essen und 4 (heute 3) Richtung Werden/Kupferdreh und  Velbert/Wuppertal. Dahinter befanden sich noch ca. 15 Gleise für den Güterverkehr.

Der starke Güterverkehr erforderte neben den Anlagen für den Güterumschlag das Bahnbetriebswerk, es wurde 1953 geschlossen, und östlich ein großes Güterabfertigungsgebäude errichtet, heute fremd vermietet. Unmittelbar vor der Ruhrbrücke gab es eine landwirtschaftliche Verladestelle, von dort führte auch ein Industriegleis über die
Bachstraße in das Fabrikgebäude der Kammgarnspinnerei J.W.Scheidt.

Ein Lokschuppen mit einer Drehscheibe von 18 Meter Durchmesser und ein Wasserturm wurden bereits 1871 gebaut. Für Elektro-Triebwagen der Baureihe ETA 177 wurde 1913 eine Ladestation eingerichtet.

Zur Dienststelle des Bahnhofs Kettwig gehörte 1950 auch der Bahnhof Kettwig vor der Brücke, die Abzweigstelle Pusch (heute Bahnhof Kettwig Stausee) und personell auch die Güterabfertigung. Die Blockstelle Eggerscheid bei Hösel unterstand ebenfalls der Bahnmeisterei Kettwig.

Das telegrafische Rufzeichen für Kettwig war “kg” und Kettwig vor der Brücke “kb”. Das Betriebsamt Essen 2 war für den Bahnhof, das Verkehrsamt Essen 2 für die Güterabfertigung und das Maschinenamt Essen 2 für das Bahnbetriebsamt und das Betriebsstoffnebenlager Kettwig zuständig.

Armin Rahmann: Die Restaurierung des Bahnhofs

Im Rahmen einer kleinen Feierstunde wird am 27. Oktober 2000 in Anwesenheit von Oberbürgermeister Dr. Wolfgang Reiniger, Prof. Dr. Berthold Beitz Kuratoriumsvorsitzender der Krupp-Stiftung, Arbeitsamtsleiter Gerhard Dohle und zahlreichen Repräsentanten aus Politik und Sport die Baustelle Bahnhof offiziell eröffnet. Beim Rundgang durch das Gebäude, zwischenzeitlich im Rahmen einer Maßnahme des Arbeitsamtes durch Jugendliche und Langzeitarbeitslose nicht nur entrümpelt, sondern teilweise auch entkernt, kann man erkennen, wie die vorgestellten Baupläne umgesetzt werden können.

Das Interesse der Kettwiger Bevölkerung an der Umgestaltung ihres Bahnhofs ist groß. Bei einem Tag der offenen Tür im Mai 2001 sind über 100 Besucher auf der Baustelle, einen Monat später besichtigen die Mitglieder der Bezirksvertretung IX den Bahnhof. Hoher Besuch erscheint im August: der stellv. Ministerpräsident des Landes, Dr. Michael Vesper, zuständig auch für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport, macht sich ein Bild von dem historischen Gebäude, das Schritt für Schritt aus dem Dornröschenschlaf erwacht. Der Minister ist voll des Lobes und verspricht, dass die von seiner Vorgängerin im Amt, Ilse Brusis, gemachten Zusagen eingehalten werden. Die Gesamtkosten sollen mit 4,217 Mio. DM aus Städtebauförderungsmitteln bezuschusst werden. Das entspricht 90% der förderungswürdigen Baukosten. Der Rest ist durch Eigenleistung (Maßnahmen des Arbeitsamtes und Sponsorenmittel) abzudecken.

Von Monat zu Monat zeigt sich mehr, wie es in Kürze sein wird. Auch Kettwigs Bürger sind erstaunt, als sie zum Richtfest am 19. April 2002 zum Bahnhof kommen. Der Einweihungstermin Frühjahr 2003 steht fest. Maßgeblich vorangetrieben wird das Vorhaben durch den ehrenamtlich tätigen geschäftsführenden Vorstand, insbesondere durch Peter Hoffmann, der zusammen mit dem Architekten und der Baustellenleitung alle Möglichkeiten der Kostensenkung und Beschleunigung ausschöpft. Allenthalben wird für den Bahnhof geworben; im August 2002 gleich zwei Mal: in einer Ausstellung der Sparda-Bank in Essen gemeinsam mit der Stiftung Denkmalschutz und auf der 5. Musikalisch-Kulinarischen Meile am Ort.
Zum Jahresende 2002 werden dann von der IG Bahnhof für die Projektleitung zwei hauptamtliche ABM- Kräfte eingestellt: Silke Kayadelen als Projektleiterin und Christian Kemper als technischer Objektleiter. Und auch für den gastronomischen Bereich findet sich nach langem Suchen und Verhandeln eine gute Lösung: Uwe Darkow (operatives Geschäft) und Udo Weinert (kaufmännischer Bereich) werden als Pächter die Gastronomie im “Alten Bahnhof” übernehmen.

Quellen: Günter Voss, Kettwig
WAZ Kettwig
Kettwiger Kurier

Alter Bahnhof Kettwig – Ein Denkmal mit Perspektiven

Dr. Petra Beckers und Hedwig Rosker Hansel, Stadt Essen, Institut für Denkmalschutz und Denkmalpflege:

Das Empfangsgebäude des Bahnhofs Kettwig bezeugt als Baudenkmal eine Epoche, in der Eisenbahnverkehr als Symbol für Fortschritt und Wohlstand galt. In den Jahren 1872/1873 wurde es im Stil des preußischen Klassizismus an der Strecke (Essen-) Kupferdreh – Düsseldorf errichtet. Wenig später entwickelte sich Kettwig durch den Bau der Anschluss-strecken nach Essen, Velbert und Mülheim zu einem wichtigen Knotenpunkt des Eisenbahnverkehrs im unteren Ruhrtal.

Der Eisenbahnverkehr verlor bis heute stark an Bedeutung und mit ihm die Bahnanlage in Kettwig. Längst untergegangen sind Bahnbetriebswerk mit Ringlokschuppen, stillgelegt sind die Gleise nach Velbert und Mülheim, Ende der 1970er Jahre wurde das Empfangsgebäude geschlossen.

Dank der Identifikation der Kettwiger Bürger mit der Geschichte ihres Stadtteils und seinen historischen Gebäuden und durch die Suche nach einem Bürgerzentrum für Sport und Kultur, ergaben sich zwei wichtige öffentliche Interessen, die 1997 dazu führten, dass die Interessengemeinschaft Bahnhof Kettwig e.V. sich zusammenfand, um das Baudenkmal mit neuem Leben zu füllen. Mit den Arbeiten konnte im Jahre 2000 begonnen werden. Zwar musste wegen der multifunktionalen Nutzung in den Grundriss eingegriffen werden, doch die erhaltenen und sanierten historischen Elemente lassen heute wieder erahnen, welche anspruchsvolle Behandlung den Bahnkunden des 19.Jahrhunderts gewährt wurde. Diese mit besonderem denkmalpflegerischem Aufwand verbundenen Maßnahmen, wie die offene Deckenkonstruktion aus Holz in einem der ehemaligen Wartesäle, historische Fenster und die aufwändig restaurierte Fassade mit Architekturelementen aus rotem Sandstein, konnten durch eine finanzielle Unterstützung der Deutschen Stiftung Denkmalschutz ausgeführt werden.

Den heutigen Kunden des neuen Bürger-, Sport- und Kulturzentrums wünschen wir viel Freude bei dem Besuch des anspruchsvollen Programms im Alten Bahnhof Kettwig. Allen Beteiligten der Interessengemeinschaft danken wir für die Realisierung dieses ehrgeizigen Projektes und wünschen viel Erfolg.